❤️ Liebe durch Literatur ins Leben


Liebe durch Literatur ins Leben

💝 Happy Valentines! 💝

Ist Literatur nur ein nettes Hobby oder können wir daraus etwas fürs Leben mitnehmen? Diese Februarausgabe steht ganz im Zeichen der Liebe: Wir lernen von den Ehebrüchigen des Realismus, denken durch römische Liebestragödien über lebensverändernde Themen nach und beantworten die Frage, ob Lehrer ihr Fach lieben müssen.


💎 Selbstverwirklichung

Als mein Mann und ich uns vor über 10 Jahren verlobten, wussten wir eines ganz sicher: Das klassische Verlobungsverfahren passt nicht zu uns. Denkt man an eine Verlobung, kommen einem meist romantische Klischees in den Sinn. Meine Verlobung war jedoch auch ein Schritt in Richtung bewusster Selbstverwirklichung und löste bei mir einen ungeahnten Lernprozess aus, den ich heute mit Ihnen teilen möchte.

Mein Mann und ich fanden beide, dass das Konzept, dass die Frau mit schwankender Hoffnung und Laune auf einen Move des Mannes gespannt warten soll, während dieser dafür verantwortlich ist, etwas Spektakuläres und Überraschendes zu planen, überhaupt nichts für uns ist.

  • Erstens glauben wir an Gleichberechtigung und offene Kommunikation in der Beziehung. Warum soll der Mann alleine den Zeitpunkt eines so lebenseinschneidenden Ereignisses festlegen?
  • Zweitens hasse ich Überraschungen. Wie die Pest. Dafür liebe ich die Kontrolle über meine eigenen Entscheidungen und Handlungen.
  • Drittens haben Verlobungen durchaus rechtliche Folgen und nicht nur mit Sonnenuntergängen zu tun. Mit den §§ 1297-1362 des BGB zum Familienrecht sollte man sich unbedingt mal auseinandersetzen.

Unsere Verlobung bestand aus einer Reihe unvergesslicher Erlebnisse: ein Nachmittag beim Goldschmied, eine verschneite Winterwanderung in der Eifel mit unserer geliebten Hündin Ari (R.I.P. 💔) und schließlich die Frage am Rhein – Ring und Manschettenknöpfe.

Nachdem die romantischen Aspekte (BGB und so) abgehakt waren, begann in mir eine neue Frage zu brennen: Was muss man für eine gelungene Ehe alles lernen? 🤓 Und los ging es mit den Ratgebern, Podcasts und YouTube-Videos. Aber welche Lektionen hält die Literatur bereit?

Heutzutage ist Storytelling ganz hoch im Trend: Im Marketing scheint man entdeckt zu haben, dass Menschen durch Geschichten lernen. Dass dies seit dem 8. Jahrhundert vor Christus bereits schriftlich passiert (mündlich, seit es Menschen gibt), scheinen viele übersehen zu wollen. Während meiner Verlobung habe ich mich also gefragt, was uns Literatur über die Ehe lehren kann.

Da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass auch fiktive Bücher oft nicht voneinander losgelöst, sondern in Leseketten zu einem bestimmten Zweck gelesen werden, und dass wir diesen Prozess aktiv steuern können, um den meisten Ertrag aus der Lektüre zu ziehen.

Als ich mich verlobt habe, ging ich der Frage nach: Was kann man von den großen Ehebrüchigen der Literatur lernen? Wieder ein romantischer Touch von mir! Frisch verlobt habe ich Romane über den Ehebruch gelesen, und zwar die großen Klassiker des Realismus: Effi Briest, Anna Karenina und Madame Bovary.

3 Lehren aus Effi Briest

  1. Man sollte sich nicht mit 17 mit einem Fremden, der die eigene Mutter schon verehrt hat, verloben.
  2. Man sollte für einen Partner nicht das eigene Leben aufgeben.
  3. Man darf den sich einschleichenden Schmerz einer erkälteten Beziehung nicht unterschätzen.

3 Lehren aus Anna Karenina

  1. Das, was zu zweit kompliziert ist, wird zu dritt nicht einfacher.
  2. Ein Ehebruch zerstört mehr als eine Beziehung.
  3. Nicht einmal die intensivste Leidenschaft gleicht das Fehlen anderer Werte langfristig aus.

3 Lehren aus Madame Bovary

  1. Eine romantisierte Vorstellung von Leben und Liebe kann vor der Realität blind machen.
  2. Flucht durch Exzesse und Affären ist kein Ausweg aus einer enttäuschenden Beziehung.
  3. Der Wert eines gutmütigen Mannes sollte nicht unterschätzt werden.

Wie denken Sie gerade über die Liebe nach und welche literarischen Werke könnten Ihnen neue Einsichten schenken?


🏛️ Latein

Liebe in der Literatur ist fast immer unglückliche Liebe. Sie sahen sich, verliebten sich, verlobten sich, vermehrten sich und starben schließlich erfüllt – das ist keine Geschichte. Eine lesenswerte Geschichte reiht Ereignisse nicht durch und dann gradlinig aneinander. Stattdessen entstehen durch aber Hindernisse und Umwege, die daher den Protagonisten zu schwierigen Entscheidungen zwingen. Jede Geschichte mündet schließlich in einen Augenblick der Verwandlung, der aus Krisen und Konflikten hervorgeht.

Wir greifen vielleicht zu einem Buch, weil es von Abenteuern, Helden und mythologischen Monstern erzählt. Doch wir bleiben dran, weil wir uns in den Krisen und Konflikten wiederfinden. Literatur – auch antike, fremde, phantastische – bewegt uns tief, weil sie von Menschen für Menschen geschrieben wurde.

In der römischen Literatur enden Liebesgeschichten fast immer unglücklich. Doch sie berühren uns mehr als jede Hollywood-Liebeskomödie mit zwanghaftem Happy-End, weil sie – um es mit Klafki zu sagen – nicht bloß einen Inhalt, sondern auch einen Gehalt haben: Sie werfen universelle Fragen auf, die zeitlos relevant sind.

Ich bin kein großer Freund von rezeptionsästhetischen Ansätzen, die die individuelle Wahrnehmung über die Substanz des Werks und die Intention des Autors stellen und sich dadurch der Gefahr einer absoluten Willkür aussetzen. So entscheidend die Wahrnehmung des Lesers auch sein mag, glaube ich an die Existenz einer Realität außerhalb unserer subjektiven Perspektive. Dennoch bleibt die Mehrdeutigkeit (Polysemie) eines Textes ein Kernmerkmal literarischer Qualität und dasselbe Werk ruft bei verschiedenen Lesern unterschiedliche Fragen und Einsichten hervor, ohne seine eigene Gegenständlichkeit zu verlieren.

Worüber lassen uns die unglücklichen Liebesgeschichten der römischen Literatur nachdenken?

  • Medea, die alles für Jason aufgegeben hatte, zeigt uns Verzweiflung und Rache vor dem Verrat. Grausam oder mitleiderregend?
  • Orpheus muss seine Eurydike zweimal verlieren. Fürsorglich oder selber schuld?
  • Pyramus und Thisbe machen uns die Macht von sozialen Normen und die tragischen Gefahren von Missverständnissen bewusst. Opfer der Umstände oder zu impulsiv?
  • Theseus nutzt Ariadna aus, ohne sein Versprechen zu halten. Herzlos oder zielorientiert?

Ich persönlich liebe Vergil. Lassen Sie uns also auf Dido und Aeneas etwas näher eingehen:

  1. Was tun wir, wenn Herz und Verantwortung im Konflikt stehen? Jupiter befiehlt: Naviget! – und es bleibt nichts anderes übrig, auch wenn der Schmerz, die dulces terras zu verlassen, unbeschreiblich ist. Aeneas ringt mit sich selbst und es fühlt sich an, als zerrisse seine Seele: Atque animum nunc huc celerem nunc dividit illuc, | in partesque rapit varias perque omnia versat.
  2. Ist Aeneas ein Feigling, der nicht einmal den Mut hat, Klartext zu reden? Oder ist die Distanzierung sein einziger Weg, die Verantwortung über das persönliche Glück zu stellen? Sind seine kühlen Antworten (pro re pauca loquar) ein Zeichen fehlender Liebe oder eine Selbsterhaltungsstrategie, ohne die eine endgültige Trennung unmöglich wäre?
  3. Doch fühlen wir nicht alle, wenn in einer Beziehung etwas nicht mehr stimmt? Quis fallere possit amantem?
  4. Und weiter: Entsteht nicht immer dort, wo die größte Liebe ist, auch der größte Schmerz? Wie oft senden wir widersprüchliche Signale und schicken pikiert jemanden weg, weil es uns nicht gelingt, ihn fester an uns zu schließen? Dann wird I! geschrieen, wo wir 'Bleib!' meinen, und Perfide! anstatt 'Ich liebe dich doch so sehr'.
  5. Was bleibt, wenn es kein Zurück mehr gibt? In einem verzweifelten Aktionismus versucht Dido ein letztes Mal, Zeit zu gewinnen: Tempus inane peto [...] dum mea me victam doceat fortuna dolere. Doch schließlich findet sie Ruhe nur in der Ausweglosigkeit (denn fata obstant) und im Tod.

All diese Geschichten sind seit Jahrhunderten auf der Beststellerliste, weil sie uns unsere Menschlichkeit auf meisterhafte Art und Weise zeigen. Sie berühren, zeigen innere und äußere Konflikte und lassen dabei einen Interpretationsfreiraum offen, in dem der Leser nach eigenen Antworten suchen kann:

Muss man manchmal zwischen Herkunftsfamilie und Liebe entscheiden?

Welche Kompromisse sind wir bereit für die Liebe einzugehen?

Bedingt Liebe immer auch ein Stück Selbstverlust?

Ich wünsche mir, viel mehr Lehrer würden in diesem Sinne die Beschäftigung mit lateinsprachiger Literatur als ein lebensbereicherndes Geschenk an die Jugend ansehen – ein Wunsch, der uns direkt zur nächsten Rubrik weiterführt.


📚 Bildung

Muss ein Lehrer sein Fach lieben? Was unterscheidet einen inspirierenden Lehrer von einem trockenen Beamten? In der Lehrerausbildung spielt die Liebe zum Fach kaum eine Rolle. Warum? Weil sie weder messbar noch lehrbar ist. Doch lassen Sie uns einen Moment innehalten und an die eigene Schulzeit zurückdenken. Hatten Sie einen Lieblingslehrer? Einen Lehrer, der Ihr Leben geprägt hat? Ich wette, es war jemand, der sich aufrichtig für Sie interessiert hat und dessen Begeisterung für sein Fach spürbar und ansteckend war.

Ich möchte dafür plädieren, dass es absolut notwendig ist, dass jeder Lehrer die eigenen Fächer zutiefst liebt. Doch wie können wir das sicherstellen? Liebe lässt sich schließlich nicht vorschreiben. Oder doch? Vielleicht mit diesen Prinzipien:

1. Man liebt das, was man gut kennt.

Leidenschaft mag überraschend entstehen und Chemie unberechenbar bleiben – Liebe jedoch ist etwas, das wir aktiv nähern können. Das weiß jeder, der eine lange Beziehung pflegt. Das wissen etwa Christen, die zur Nächstenliebe angehalten sind. Und das spüren wir sogar, wenn wir uns in die Biografie eines grausamen Verbrechers vertiefen: Betrachen wir bloß seine Taten, distanzieren wir uns; verstehen wir seinen Leidensdruck, ist Empathie unvermeidbar. Wo Verständnis und Kenntnis wachsen, gedeiht Liebe.

Wer Lehrer dazu befähigen will, ihre Fächer zu lieben, muss ihnen daher die Chance geben, diese in ihrer Tiefe und Breite zu verstehen. Denn Fachkompetenz ist die Grundlage jeder Begeisterung und Motivation. Ein Lehrer mit großem Fachwissen kann Schüler mitreißen, inspirieren oder zumindest dazu ermutigen, sich wenn nötig durchzubeißen.

Wir unterschätzen oft, wie beeinflussbar unsere Gefühle sind. Ich bin der festen Überzeugung: Alles, was man wirklich gut kann, beginnt man zu lieben und Fachliebe wiederum führt zu einer vermehrten Auseinandersetzung mit den Inhalten. Es entsteht ein circulus virtuosus:

2. Man lebt das, was man liebt.

Ich liebe es zu schreiben; deshalb schreibe ich jeden Tag. Liebe äußert sich in Haltung und Handlung und wird dadurch im Alltag sichtbar. Ein Lehrer, der sein Fach liebt, hat diese besondere Haltung. Sie zeigt sich nicht nur in der Art, wie er über Themen spricht, sondern auch wie er sie erlebt und in sein eigenes Leben integriert.

Dadurch wird Fachliebe zur mächtigsten Fachlegitimation. Welche größere Fachlegitimierung kann es geben, als einem Vorbild zu begegnen, dessen Leben offensichtlich durch die Inhalte seines Fachs bereichert ist?

Doch was passiert, wenn diese Liebe/Kompetenz fehlt? Ein Lehrer, der nicht für sein Fach brennt, verliert schnell seine Glaubwürdigkeit. Warum sollten sich Schüler mit einem anstrengenden Thema auseinandersetzen, wenn dieses nicht einmal für das Leben des Lehrers einen erkennbaren Wert hat? In diesen Fällen sind die unvermeidlichen Angaben zur Fachlegitimierung nicht nur aus den Fingern gesogen, sondern schlichtweg heuchlerisch.

Diese Überlegungen führen zu einer provokanten Frage: Wie kann jemand, dessen Alltag nicht von der Auseinandersetzung mit literarischen Werken geprägt ist, ein hervorragender Deutsch- oder Lateinlehrer werden?


Am Valentinstag möchte ich Sie daran erinnern, dass schöne Literatur und Liebesgeschichten nicht nur ein angenehmer Zeitvertrieb ist, sondern ganz viele Lehren für unser Leben bereit halten! Zusammenfassend:

💎 Welche Lektüre eröffnet Ihnen neue Perspektiven in Ihrem jetzigen Lebensabschnitt?

🏛️ Welche Fragen werfen römische Liebestragödien auf, die in Ihren Beziehungen eine Rolle spielen?

📚 Muss ein Lehrer sein Fach lieben und welche Rolle spielt Fachkompetenz dabei?

Schreiben Sie mir gerne Ihre Gedanken, Geschichten und Anregungen zu Bildung, Latein und Selbstverwirklichung und sagen Sie mir, welche Themen Sie für die nächsten Newsletter interessieren würden.

Im März-Newsletter wird es um die Blütezeit 🌺 gehen.

In posterum, in prosperum!
Ihre Silvia

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